Heiße Luft und hohle Phrasen
Über die Dampfplauderei: Reden und Gerede in der österreichischen Politikgeschichte. Andrea Maria Dusl für den STANDARD vom 11./12.2.2007
Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“ 68 Jahre gehörte rhetorische Einfalt zum allerhöchsten der zitablen Gefühle. Kaiser Franz Joseph regierte einen Vielvölkerstaat mit der Unaufgeregtheit eines Provinztrafikanten. Ohne es zu wollen und sicher ohne es zu wissen, hat der pausbärtige Schönwettermonarch damit für Jahrhunderte den Grundton österreichischer Beredsamkeit gesetzt.
Die Vielfalt der k.u.k.-privilegierten Dampfplauderei hat Karl Kraus in Die letzten Tagen der Menschheit in atemberaubend genauen Vignetten beschrieben. Von den bierlüstern-deutschtümelnden Redeschwallen der Korporierten bis zur sedierenden Feiertagsansprache der katholisierenden Provinzpolitik hat die österreichische Rede auf ihrer langen Reise ins 21. Jahrhundert wenig an Unschärfe eingebüßt. Das mag der Grund sein, warum das Schweigen im Schnitzelland stets für Philosophie gehalten wird.
Sonnenkönig Bruno Kreisky schwieg vor allem, um den unkontrollierbaren Grant zu verbergen, der in ihm schwelte, wenn Körper und Urteilsvermögen von den versagenden Nieren nicht mehr entgiftet wurden. Vor seiner Nierentransplantationen ließ er wichtige Entscheidungen und heikle Termine gleich nach einer Blutwäsche legen, Kritikerschelte und Oppositionsdisziplinierung landeten im Irrsinn vor der Dialyse.
Sinowatz und der Schuhmachersohn
Von Kreiskys Nachfolger Fred Sinowatz sind keine lebensbedrohlichen Vergiftungen bekannt. Rotwein hob bei ihm weder Stimme noch Stimmung signifikant. Das österreichische „Republikum“ hielt Sinowatz deswegen zu Unrecht für dröge. Es hatte noch die manisch-depressiven Schwankungen der trinkfrohen Tribune Figl und Raab in verklärter Erinnerung. Sinowatz kämpfte auch mit einem anderen Dämon. Der Logorrhöe eines jungen Populisten mit unsauberen politischen Sehnsüchten. Gegen das giftige Wettern des Schuhmachersohnes aus Bad Goisern wusste Sinowatz nur die pure Wahrheit zu bemühen: „Es ist alles sehr kompliziert.“ Es sollte noch viel komplizierter werden.
Von Franz Vranitzky sind keine Heißluftdispute in Erinnerung. Der Aufsichtsratsvorsitzende der ersten größeren Koalition seit Langem schwieg mit der Bedachtsamkeit eines erfolgreichen Bankiers. Hier ein Wort – und da. Kein Sätzchen zu viel. Ein Bundeskanzler ist kein Schuhverkäufer.
Übermut nicht schweigen tut
Eindeutig zu wenig sprach der Mann in der Hofburg. Der einstige UN-General hatte Gedächtnislücken in tragischen Teilen seiner Biografie. Kurt Waldheim schwieg stellvertretend für eine ganze Generation. Im Schweigeschatten Kurt Waldheims wurde eine Generation geschichtsverklärender junger Männer groß und übermütig: Jörg Haiders Buberlpartie. Ganz wie ihr Vorbild schulte das schnatternde Trüppchen seine Lippen in Redewettbewerben, Rhetorikseminaren und Wahlkampfreden.
Hochkonjunktur sollte die Produktion heißer Luft mit der Ablöse des schwatzhaften Bundeskanzlerdarstellers Viktor Klima durch seinen ehrgeizigen und tückischen Vizekanzler Wolfgang Schüssel bekommen.
Kaum hatte er im Bundeskanzlersessel Platz genommen, versagte sich Schüssel angesichts weltweiten Unwohlseins über seine Koalition den Diskurs. Zwischen Ballhausplatz und Hofburg wurde überhaupt geschwiegen.
In bester Erinnerung ist die schweigende Grabesmiene, mit der der Strassenbahnersohn aus Erdberg, UHBP Thomas Klestil die Angelobung von Wolfgang Schüssel und seinem Häufchen seltsamer Koalitionsgefährten hinter sich brachte. Von der Eisigkeit dieser Schweigemomente sollte sich Klestil nie wieder erholen.
Der Millimetternich
Das Spiel, das der Strategiemaniker Schüssel spielte, war für die einen klar, für die anderen unsichtbar: Die ÖVP-Politiker sollten sich durch staatsmännischen Gestus profilieren. Im besten Falle orientierte sich das an den guten Momenten Kreisky’scher Souveränität, im schlechtesten Fall geriet es zum nichtssagenden Verkaufsgeschwurbel oder zur pfäffischen Belehrung.
Schnattergänse wie Susanne Riess-Passer und Peter Westenthaler und der Sprachdadaist Herbert Haupt kämpften verbittert um die Hegemonie in der Kunst der hohlen Phrase. Niemand jedoch beherrschte die Artistik, mit vielen Worten absolut nichts zu sagen, so gut wie der ehemalige Lieblingsjüngling Jörg Haiders. Karl-Heinz Grassers Talent kam nicht von ungefähr. Als Sohn aus bestem Autohaus war ihm die Technik des Verkaufsgesprächs schon in den Kindersitz gelegt.
Schnatterprinz und Sandkistenkanzler
An diesen beiden Polen, seinem eigenen jesuitischen Schweigen und dem charismatisch-bübischen Schlagzeilensprech seines Kristallprinzes, spannte Wolfgang Schüssel den Sternenhimmel der konservativen Hegemonie auf. Dem depressiven Vollblutrhetoriker Jörg Haider war in diesem Zirkuszelt nur mehr die Rolle des alternden Clowns zugedacht.
Mit allem wollte Wolfgang Schüssel rechnen, nur nicht mit einem: Dass ausgerechnet der schwerfällig-hedonistische Alfred Gusenbauer ihn im direkten Duell besiegen würde. Das Szenario schien so unwahrscheinlich, dass ihm weder in der Strategieplanung Schüssels noch in der von Gusenbauer auch nur der Funken einer Chance eingeräumt wurde.
Die Kanzlerschaft überfiel Gusenbauer mit der Gewalt eines Tsunamis. Der begabte Redner und glaubwürdige Sorgenanwalt ramponierte sein frisch keimendes Image als Volkskanzler mit unbedachten Sprüchen und altklugen Phrasen. Noch vor Kurzem galt er als beratungsresistent – nun lief Gusenbauer angesichts versemmelter Regierungsverhandlungen und steil fallender Sympathiewerte in die Schweigekurve ein. Noch darf das plötzliche Verstummen des Ybbser Sandkistenkanzlers als erfrischend wahrgenommen werden!
Für DER STANDARD, Printausgabe 10./11.2.2007