Wien, Leopoldstadt, Leopoldsgasse, Volksschule der Stadt Wien, gegenüber dem Geburtshaus von Otto Bauer. Sozialdemokratischer kann man als Boboine nicht wählen gehen. Mein Wahllokal befindet sich seit Menschengedenken, seit den Zeiten meiner Urgrossmutter, im hintersten Eck der Volksschule, es geht vorbei an Schülerscherenschnitten, Metallspinden und Klassenzimmertüren zu den freundlichen, aber hypernervösen Wahlzimmerzuweisern, einem kleinen Schnurrbärtigen und einer blondgefärbten Dame, beide in ihren 50ties. Hypernervös sind sie, weil sie Kettenraucher sind und hier im Schulgebäude nicht rauchen dürfen.
Die für meine Stimmabgabe zuständigen Wahlbeisitzer und Urnenwächter, Ausweisprüfer, Adressenkontrollore und Wahlzettelausfolger sitzen im Turnsaal an zwei langen Tischen, bei Obst, Mineralwasser, Kuchen und Kaffee. Der Turnsaal riecht nach österreichischen Kinderfüssen. Man sollte die Direktoren von Nike, Adidas und Puma hier mal zwei Tage internieren.
Meine Wahlzelle ist aus Pappkarton, an einem Gummiband hängt ein Kugelschreiber. Rechts an die Pappwand ist ein riesiges Poster getackert, mit den Listen der Vorzugsstimmenberechtigten (oder wie auch immer das im Amtsjargon heissen mag). Unelegant: Erster und oberster der Liste 1, ÖVP, ein gewisser Dr. Wolfgang Schüssel. Beruf: Bundeskanzler. Beruf? Kann man als Ex-Bundeskanzler zum Arbeitsmarkservice gehen und um Stellenvermittlung ansuchen? Oder wird man dann umgeschult? Kann das mal wer klären?
Der Wahlzettel ist gefaltet. Durch diese Faltung entsteht bei einfachen Geistern der Eindruck, dass das “BZÖ, Liste Westentaler, wir san wir”, als erstes gereiht ist. Erst beim vollständigen Entfalten verrutscht die Haiderpartei wieder auf die hinteren Plätze.
Wieder draussen bei den nikotinsüchtigen Zimmerzuweisern. Eine Dame aus der Unteren Augartenstrasse hat ihre Informationskarte nicht dabei. Sie hatte sie erst gar nicht bekommen. Niemand aus der Unteren Augartenstrasse hat Informationskarten bekommen, weiss der Wahlzimmerzuweiser. “De hom de ÖVP-Postler weggaghaut. Seid de priavtisiert san, san de voi angschütt”, weiss eine andere Dame.
Für das Ösi-Blog in der ZEIT.