Der Mann mit den roten Schuhen

Schuessel.waehlen.jpgDer Hugo-Wiener-Platz liegt gegenüber von meinem französischen Atelierfenster. Zwei riesige Platanen stehen da vor den Sonnensegeln der polnischen Pizzeria, die den Sommer nicht überlebt hat, weil bei Regen niemand unter Sonnensegeln sitzen will. In der früh starten die Bobos ihre Minis und Saabs und Smarts und fahren in ihre kleine Galerie in der Schleifmühlgasse, ins Funkhaus in der Argentinierstrasse, in das vegane Naschmarktlokal. Dann wacht der Sandler auf, der an geraden Tagen auf der Bank unter der linken Platane schläft, an ungeraden auf der Bank unter der rechten Platane.

Vormittags, nicht vor zehn fährt der Musik-Kabarettist Muckenstrunz auf seinem Kinderklappfahrrad quer über das Pflaster. Zu mittag kommen die türkischen Schulkinder, dann die Frau mit den drei kläffenden Hunden, und abends, wenn nur mehr die aufgebohrten Mopeds durchs Viertel glühen, kommen die Nigerianer, um in der Wertkartentelefonzelle vor dem H.C-Strache-Plakat nach Hause zu telefonieren. Ein beschaulicher Platz, der Hugo-Wiener-Platz gegenüber von meinem französischen Atelierfenster.

Heute war es anders. Nicht viel anders, aber anders. Ein silbermétalliséefarbener Querfeldein-BMW parkte sich ein, grosse rotweissrote Kleber mit dem Slogan “Schüssel.wählen” knallten von den Türen. Ein Mann mit wirrer Frisur entstieg dem Sport-Utility-Vehikel. Der Mann in der bürgerlichen Jeanshose und dem hellblauen Golfplatzhemd sah aus wie der Meinungsforscher Bretschneider und wie wenn sich Bretschneider gerade von seinem weissen ZZ-Top-Bart getrennt hätte. Der Bretschneider-ohne-Bart telefonierte. Der rechte seiner knallroten Wildlederturnschuhe trat in das Hundstrümmel der Dreihundefrau, der Sandler unter der linken Platane setzte seine Zipfelmütze gerade und dann trug der milde Septemberwind einen Handy-Telefonat-Satz des Bretschneider-ohne-Bart-Mannes durch mein halboffenes französisches Atelierfenster:

“Es wird doch knapp. Oaschknapp.”

Für das Ösi-Blog in der ZEIT

3 Gedanken zu „Der Mann mit den roten Schuhen“

  1. Schluwi
    Oh! – Wusste gar nicht, dass ich nur einen Steinwurf von Dusls französischem Fenster weg wohne. Nächtens, wenn ich von meinem Lokal (dem WOLF im Siebten) mit dem Motorrad nach Hause knattere, schaue ich ab und zu noch auf einen Absacker im Schlupfwinkel – kurz Schluwi – vorbei. Es handelt sich um ein ewiges Studenten-Souterrain-Kerzenlicht-ausgesessene-Sofas-Grünes-nein-eher- Kommunistisches Beisl in Dusls und meiner Gasse. Bert, der Besitzer, schätzt nicht nur die Kommunisten, sondern vor allem guten Wein aus seiner Heimatgemeinde Weiden am See (Burgenland). Was einem nach schwerer Kocharbeit (der Koch isst ja bekanntlich am wenigsten) den Abend retten kann, ist Berts fantastisches Chili und ein Achtel Blaufränkisch.
    Die Hugo-Wiener-Platz-Pizzeria war ganz einfach schlecht, noch schlechter als die immer volle eine Ecke weiter.

  2. Comandantina,
    welche Freude – und leider: welch seltenes Vergnügen – so eine Vignette zu lesen. Allein für die Formulierung „Querfeldein-BMW“ gebührt ein wenigstens virtueller Nobel(marken)preis. Vielen Dank für das Lesevergnügen.
    Und: die Hoffnung stirbt wie immer zuletzt, vielleicht bleibt vom „oaschknapp“ ja nur der eine Teil übrig am Sonntag abend!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert