Liebe Frau Andrea,
Fragen über Fragen. Mir gings so nach der leidigen Trinkgeldsteuerdiskussion, angezündet von der Badehose der Nation. Das Trinkgeld. Wieso heißt das eigentlich so? Kann doch nicht sein, dass der freiwillig und zusätzlich zur Rechnung geleistete Betrag nur dazu dient, dass sich KellnerInnen damit am Ende der Woche sinnlos niedersaufen. Dass man Trinkgeld zahlt, weil man was getrunken hat, kann ja auch nicht sein. Weil man Trinkgeld ja auch fürs Essen zahlt. Und beim Friseur. Und beim Tankwart. Und der Putzfrau. Und dem Postler, wenn er ein Packerl bringt. Klären Sie mich bitte auf: Wieso heißt das Trinkgeld eigentlich Trinkgeld?
Danke, Wolfgang Bayer, 1140 Wien
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Lieber Wolfgang,
in früheren Zeiten diente das Trinkgeld tatsächlich ausschliessslich dazu, dem kellnernden oder sonstwie dienenden Personal ein Gläschen zu spendieren. Dem Tankwart zahlte man für das Putzen der Scheiben und die Kontrolle von Öl und Kühlerwasser. Obwohl das Trinkgeld, eine Chimäre aus Kleinstbestechung und Almosen, längst ausgestorben sein sollte, hat die moderne Ausbeutungsgesellschaft das Relikt einer unsozialen Vergangenheit als Lohnbestandteil affirmiert. Mit dem Namen “Trinkgeld” sollten wir allerdings spielen dürfen. “Solidarbeitrag zur sozialen Abfederung des Konsumenten-Dienstleistungs-Anbieter-Gefälles”, “fürs Orchideenstudium”, “für die Haschkassa”, oder “kaufen sie sich eine Homepage drum”, machen sich sicher gut im Restaurant oder an der Tankstelle.
Erschienen in Falter 26/05 vom 29.6.2005
Lieber Gerhard,
die Erläuterungen zum „Bock aufzublasen“ sind noch in Arbeit.
Die Zeiten, in denen Tankwarte tatsächlich noch Tanke warteten,
sind mittlerweile einige Jahrzehnte her. Verstehen Sie „in früheren Zeiten“
in diesem Sinne als dramatische Überhöhung.
„Handkassa“ ist selbstverständlich zynisch gemeint. Das haben sie richtig gehofft.
Die Chimäre ist das Zwischenwesen. Relikt ist ein Überbleibsel. Eine wilde
Mischung aus zwei so unterschiedlichen Dingen wie Bestechung und Almosen
wäre auch dann eine Chimäre, wenn sie ein Relikt wäre, nicht jedoch umgekehrt
oder überhaupt.
Kabelmonopolist Chello spinnt nicht nur, sondern ist durchaus unverschämt.
Silverserver ist nicht viel langsamer, aber viel netter.
Lang lebe die Revolution,
Andrea Maria Dusl
Liebe Frau Andrea,
so sehr ich ihre Aufklärungsarbeit auch schätze (ich warte übrigens noch immer auf einen kompetenten Beitrag bezüglich „Bock aufblasen“), kann ich jetzt doch nicht umhin, etwas Kritik anzubringen.
„in früheren Zeiten … “ … „Dem Tankwart zahlte …“ ???
Vielleicht fürs Pferde abschruppen oder so?
However – ich hoffe, daß Sie die angeführten Beispiele zynisch (“ … Handkassa …“) gemeint haben.
Und Chimäre kam mir in diesem Zusammanhang auch etwas eigenartig vor – wie wär’s mit Relikt?
Ich lese Ihre Kolumne trotzdem immer wieder gern (schleim).
auf Wiederlesen
Gerhard