Dirk Stermann und Christoph Grissemann, kongeniale Radiomoderatoren, Sprechvirtuosen und Bühnen- Alleinunterhalter, haben ein neues Kabarett-Programm. Der „Falter“ traf die beiden, um über „Harte Hasen“, das Überleben diverser Katastrophen und die Tingelei zu plaudern. Ein Interview von ANDREA MARIA DUSL
Originaltext aus Falter 08/05 vom 23.02.2005
Das ungekürzte Interview gibt es hier zu lesen >>> Ehrlichkeit sells…
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Sie sind deutlich schlanker und voller Energie. „Zum ersten Mal in ihrem Leben“, heißt es im Gründungsmythos zu ihrem neuen Programm, hätten der entwurzelte Deutsche Dirk Stermann und der denaturierte Wiener Christoph Grissemann „Lust, ihr Publikum zu begeistern“. Diese Veränderung sei durch die völlige Abstinenz von Drogen möglich geworden. Auf der Bühne werde kein Alkohol mehr getrunken. So könnten die zwei Neobuddhisten für stundenlange, konzentrierteste Pointenwucht sorgen.
Stermann und Grissemann, kongeniale Sprechvirtuosen, Bühnenalleinunterhalter und Radiomoderatoren für FM4 und den Berliner Sender Radio Eins, spielen in der Königsliga der sprachlichen Equilibristik: der Doppelconference. Nach „Das Ende zweier Entertainer“, „Die Karawane des Grauens“ und „Willkommen in der Ohrfeigenanstalt“ präsentieren die beiden nun, ihr viertes Kabarettprogramm, „Harte Hasen“. Der Falter traf die Trashkomödianten in Wiens geheimer Comedy-Ausdenk-Abhänge Rüdigerhof.
Andrea Maria Dusl: Was sind harte Hasen?
Christoph GrissemannDas kann man sehen, wie man will: Einerseits sind es ausgestopfte Hasen, die auch im Bühnenbild eine Rolle spielen, andererseits ist es ein Begriff, den wir seit Jahren mit uns herumtragen. Wir wollten ja schon eine Radiosendung so nennen: „Harte Hasen“. Weil es eine so schöne doppelte Alliteration ist und weil es zwei Begriffe sind, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Der Hase ist ja an sich als weiches Tier, als Streicheltier bekannt. Davor ein „hart“ zu setzen, fand ich rein sprachlich interessant. Viele assoziieren damit Motorradbräute – was nie unser Gedanke war, was uns eigentlich auch unangenehm ist, weil man so ins Fahrwasser der Alkbottle-Comedy gerät. Was wir natürlich überhaupt nicht wollen.
Dirk Stermann: : Ganz viele haben da an was Rammiges gedacht, so was Phallisches, Hartes, an den Hasen als Phallussymbol, als erigiertes Glied. Das spielt aber überhaupt keine Rolle. Es geht eher um Schlappschwänzigkeit. Harte Schlappschwänzigkeit.
Andrea: Seid ihr eher Schlappschwänze?
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>>> Grissemann: Ja.
Stermann: : Toughe Schlappschwänze. Ich glaube ja, dass der Hase grundsätzlich ein bisschen dumm ist. Dieses zickzack laufende Herumgehopple! Das aber passt wiederum ganz gut zu unserem Programm. Wir arbeiten so, darum ist der Titel auch ganz sinnvoll.
Grissemann: Wir arbeiten, im Gegensatz zu anderen Kabarettisten, ohne Überthema. Während Andrea Händler die Beziehungskiste zum großen Thema macht oder Roland Düringer Autos, haben wir ja nie ein Überthema. Bei uns hat ein Satz mit dem davor überhaupt nichts mehr zu tun.
Andrea: Haben eure Shows untereinander Ähnlichkeiten? Wird jemand in Sankt Pölten eine ähnliche „Harte Hasen“-Show sehen wie das Publikum in Berlin?
Stermann: Zu achtzig Prozent werden die Leute überall das Gleiche sehen. Die anderen zwanzig Prozent sind improvisiert. Fatalerweise. Das Anstrengende ist ja das Improvisieren.
Grissemann: Extrem anstrengend. Weil man immer Gefahr läuft, katastrophal zu improvisieren. Unter Schlagfertigkeitsdruck zu stehen ist neben der Angst, von Terroristen angegriffen zu werden, die größte Angst, die es für mich gibt. Ich habe genauso große Angst vor einem verfehlten Witz wie davor, getötet zu werden.
Andrea: Ihr seid beide Überlebende. Stermann hat gerade den Tsunami überlebt und Grissemann vor ein paar Jahren seinen Haider-Sager (1). Das war auch nicht ungefährlich.
1: In einem Interview mit der Zeitschrift „rödr@nner“ sagte Christoph Grissemann am 28. Oktober 1999 in satirischem Zusammenhang folgenden Satz: „Wenn man den Haider stoppen wollte, müsste man ihn erschießen. Irgendjemand, der nur noch zwei Monate zu leben hat.“ In der Folge wurde Grissemann unterstellt, zu einem Attentat aufzurufen.
Grissemann: Obwohl ich das bis heute nicht verstehe, was daran so wahnsinnig gefährlich war, es war ja nie ein Aufruf zum Mord, ich hab ja einfach nur so vor mich hin gebrabbelt wie wahrscheinlich Zehntausende andere an den Stammtischen dieser Republik auch. Das hat man dann doch recht glücklich überlebt.
Andrea: Was hätte passieren können?
Grissemann: Wenn es ganz blöd gekommen wäre: Aufforderung zum Mord, das ist das Gleiche wie Mord in Österreich, ein Strafmaß von zehn bis zwanzig Jahren oder so. Da schluckst du, wenn du das vom Anwalt hörst. Vom eigenen.
Stermann: Was aber nett war: Unser Fahrer, der Max, war ja schon oft im Gefängnis, und der hat gesagt: Egal, in welches Gefängnis Grissemann kommt, er kennt überall Leute, und die helfen dann. Das war schon charmant.
Andrea: Es wäre allerdings nur Grissemann ins Gefängnis gekommen.
Grissemann: Stimmt. Nur ich.
Andrea: Wie wärt ihr umgegangen mit so einer Trennung?
Stermann: Wir haben so ähnliche Situationen schon einmal gehabt. Da hat Grissemannn Zivildienst gemacht, ich habe in Hamburg gearbeitet, und wir haben die Radiosendung weitergemacht. So ähnlich wäre das im Gefängnis auch gewesen.
Andrea: Stermann hat in Sri Lanka die schlimme Welle überlebt.
Stermann: Wobei ich das nicht so erlebt habe wie die Menschen hier im Fernsehen und auch nicht wie die Betroffenen. Ich hab gar nichts erlebt, genau genommen war das, wenn ich ehrlich bin, sehr unspektakulär.
Grissemann: Du bestreitest aber nicht, dass es stattgefunden hat. Ich sage nur: Tsunamilüge!
Stermann: Ich sage nicht, dass es die Tsunamilüge gibt. Und ich will nicht am Brandenburger Tor eine Gegendemo veranstalten.
Grissemann: Aber, um ernsthaft zu reden, wie war das für dich, als FM4-Grasser nach zweiwöchigem Urlaub braun gebrannt zurückzukommen?
Andrea: Unverletzt.
Stermann: Ich war ja in einem Ort, wo nichts war. Nachdem alle, die dort waren, ihr Schicksal kundgetan haben, habe ich jetzt das Gefühl, dass jeder Halbprominente wesentlich mehr gelitten hat als die Fischer auf Sri Lanka. Das hast du ja alles in den vernewsten und verfellnerten Blättern lesen können. So war das bei mir nicht, ich hab einen schönen Brief bekommen von einem Fischer, dem wir Geld gegeben haben, wo der genau aufgelistet hat, was er mit dem Geld gemacht hat. Das war schön zu lesen, irgendwie.
Andrea: Was hat er mit dem Geld gemacht?
Stermann: Er hat zwei Fischernetze gekauft, womit vier Leute leben können. Das Problem ist nur: In Sri Lanka kann man den Fisch nicht verkaufen, weil die abergläubisch sind und glauben, dass die Fische die ganzen Leichen gegessen haben. Ich hab auch wahnsinnig viele so Dinger im Meer treiben gesehen.
Grissemann: Leichen?
Stermann: Betten, Kissen, Plastik, Spielzeug, so was halt.
Grissemann: Das hat es bei dir an die Westküste geschwemmt?
Stermann: Das zog da so am Hotel vorbei. Du saßest da beim Frühstück, und da zog das vorbei, wie am „Laufenden Band“: das Fragezeichen, der Globus …
Grissemann: Ist das nicht zynisch?
Stermann: Aber so war’s.
Andrea: Was wäre da zynisch? Der Vergleich oder die Situation?
Grissemann: Na, Cocktail trinkend am Strand zu sitzen und Schränke, Fragezeichen und Perücken vorbeischwimmen zu sehen, und das mit einer „Am laufenden Band“-Situation zu vergleichen, das sehe ich höchst zynisch.
Stermann: Aber es war exakt so, weil das Fenster exakt den Ausschnitt eines Fernsehers hatte.
Andrea: Rudi Carrell, weil wir gerade davon sprechen, soll ja privat auch eine zynische Person sein.
Stermann: Heißt es, ja.
Grissemann: Ein Sexist.
Andrea: Ihr seid vom großen Showbusiness noch nicht ganz verdorben.
Stermann: Wir sind aber auch nicht so erfolgreich wie Rudi Carrell. Ich glaube, um ein totales Arschloch zu werden, musst du so richtig erfolgreich gewesen sein. Solange du mit der U-Bahn zu FM4 fährst, kannst du dir nicht einreden, dass du ein Weltstar bist.
Andrea: Zurück zu den Hasen. Wir wisssen also, da wird improvisiert. Was unterscheidet eine „Harte Hasen“-Vorführung von anderen Grissemann-und-Stermann-Alleinunterhaltungs-Entertainment-Events?
Stermann: Schön formuliert.
Grissemann: Durch die Erfahrung am Theater, die wir im letzten Jahr gemacht haben, die Werner-Schwab-Lesung mit Hilde Sochor zum Beispiel, haben wir ein bisschen die Lust am Schauspielen entdeckt. Es wird also weniger Stand-up-Comedy sein als szenisches absurdes Theater, wo ich eher den Geisteskranken spielen werde, was ja meine Paraderolle ist, und Stermann den Märchenerzähler mit tiefem Bass, oder? Es wird eher ein Theaterstück als die letzten Programme.
Andrea: Aber Theaterstücke sind doch gemeinhin Geschriebenes.
Stermann: Es gibt ja auch Sachen, die geschrieben sind, Geschichten, die wir vorlesen. In Berlin ist es zum Beispiel seit fünf Jahren so, dass die Leute nach unseren Auftritten fragen: „Wann ist denn die nächste Lesung?“ Obwohl wir da teilweise überhaupt nichts gelesen haben.
Grissemann: In Berlin wirst du eher als Autor wahrgenommen, in Österreich als Kabarettist. Wir wollen in „Harte Hasen“ aber weder Vorlesende sein noch als Kabarettisten vorkommen, sondern in Wahrheit als Schauspieler.
Andrea: Wärt ihr gerne Schauspieler?
Grissemann: Ich wäre schon gerne Schauspieler, ja.
Stermann: Ich finde das auch gut.
Grissemann: Wenn du Schauspieler bist und fremde Stücke spielst, fehlt dieser enorme Druck, von dir selbst was geben zu müssen, von dem du eventuell auch nicht überzeugt bist. Kein Mensch kann dich verantwortlich machen für die Sätze, die du sagst. Nur für die Interpretation.
Stermann: Ich bin ganz zufrieden damit, immer unterschiedliche Sachen zu machen. Ich möchte weiterhin überraschende Anrufe kriegen.
Grissemann: Das stimmt schon, dass wir Gott sei Dank in der Lage sind, die verschiedensten Angebote anzunehmen. Also zwischen Miss-Wet-T-Shirt-Wahl moderieren und ein Engagement beim steirischen herbst ist alles möglich.
Andrea: Badet ihr in Geld?
Grissemann: Wenn ich gut mit Geld umgehen könnte, würde ich in Geld baden, so ist es nur Duschen.
Stermann: Ich kann das besser, finde das aber gar nicht wichtig. Geld ist mir nicht wichtig, mir war immer nur wichtig, auf niemand angewiesen zu sein. Um richtig reich zu sein, machen wir auch zu viel gratis.
Andrea: Ihr seid die Barbara Stöckl und die Vera Russwurm für die wirklich harten Fälle. Es gibt ja in Österreich nicht allzu viele Leute, die man zu jedem Anlass auf die Bühne stellen kann. Hermes Phettberg, Peter Rapp und euch.
Grissemann: Gebrauchsmoderatoren.
Stermann: Peter Rapp ist ein Vollprofi. Ich schau ja „Glücksrad“ oder wie das heißt.
Grissemann: „Millionenrad.“
Stermann: Ich sehe das wirklich gerne, weil Peter Rapp der Einzige ist, dem alles egal ist, der das so professionell macht, dass du auch siehst: Der ruht in sich. Ich kenne im deutschsprachigen Raum überhaupt niemanden, der dermaßen professionell ist, das find ich schon auch faszinierend.
Andrea: Gibt’s da so was wie ein Kollegengefühl? Kann man von Rapp lernen?
Stermann: Nur die Ruhe von dem, das ist faszinierend. Außerdem: Man kann nichts lernen durchs Ankucken.
Andrea: Ihr seid doch auch ganz schön ruhig.
Grissemann: Das haben wir durch das jahrelange Tingeln gelernt. Wir haben ja alles gemacht, von der Apothekermesse bis zur Flex-Zehnjahresparty. Das einzig Wichtige ist, ruhig zu bleiben, auch wenn du gar keine Ahnung hast, wen du da jetzt ansagst. Man lernt das. Außerdem: Wir bluffen auch total viel. Es reicht, wenn du da oben stehst und mit sonorer Stimme Ruhe verströmst.
Stermann: Wir werden auch gerne für ganz technische Sachen gebucht, weil wir uns da gar nicht auskennen, und die sagen dann: Ja, genau deswegen!
Grissemann: Für die wird’s lustiger, wenn etwas nicht der Broukal moderiert, sondern Stermann und Grissemann.
Andrea: Was war da in letzter Zeit besonders absurd?
Grissemann: „Die Nacht des schönsten Lächelns“ von Wrigley.
Andrea: Wrigley, die Kaugummifirma?
Grissemann: Genau. Das war der absolute Wahnsinn, wo auch die Sugababes aufgetreten sind. Totale Zicken. Die haben einen ungeheuer langen Soundcheck gemacht, obwohl sie einen Vollplaybackauftritt hatten. Ihr Manager hat uns signalisiert: Reden, reden, reden, sie kommen erst in 15 Minuten. Und das ist der Wahnsinn: 15 Minuten Sugababes ansagen. Wenn du nicht einmal weißt, wie das Lied heißt, das die da singen werden.
Andrea: Wie lange tingelt ihr schon mit solchen Leuten?
Grissemann: Seit 1993 wird getingelt. Zwölf Jahre.
Andrea: Was ist das magische Datum?
Stermann: Es gibt kein Datum, aber eine magische Erinnerung: Da war so eine Computermesse in Wien, wo wir dreimal am Tag für irgendeine Gesellschaft eine Show auf der Bühne machen mussten, vor uns Menschen mit halb offenem Mund, meterdicken Brillen, alle so um die siebzig. Sie haben uns angestarrt wie kranke Tiere, das war für mich ein ganz legendärer Moment. Nebenan machte Fifi Pissecker sein Ding.
Grissemann: Er drehte das Glücksrad.
Stermann: Während auf dem Noch-nebenan-Stand ein Spot lief, den wir irgendwann aufgenommen haben, für ein ganz anderes Produkt.
Andrea: Das war die Geburt von Stermann und Grissemann?
Stermann: Das war schon der Endpunkt.
Grissemann: Der Niedergang. Gut war auch die Moderation am Silvesterpfad, wo einer aus dem Publikum schrie: „Euch sollte man aus der Stadt jagen!“ Obwohl wir ganz friedlich moderiert haben.
Stermann: Der stand ganz vorne. Wir haben, glaube ich, das Runterzählen falsch gemacht. Ich glaube, bewusst sogar. Wir haben das Runterzählen vorher gemacht. Und dann waren die alle sauer, weil wir dieses „Und zehn, neun, acht … Prosit Neujahr!“, weil wir das eine halbe Minute nach vorne verschoben hatten. Da war der halt sauer und schrie. Dann kam noch einer und sagte: „Und übrigens, wisst ihr, dass die Elvis-Imitatoren auf der Bühne neben euch das Doppelte verdienen?“
Grissemann: Das war hart.
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„Harte Hasen“: am 1. und 2. sowie vom 8. bis 12.3., 20 Uhr, im Rabenhof (Tel. 712 82 82); am 13. und 14.5., 20 Uhr, im Vindobona (Tel. 332 42 31).