Über Fenster- Frei- und andere Feiertage
Andrea Maria Dusl
Jahreswechsel sind virtuelle Angelegenheiten. Weder ändert sich das Wetter, noch die politischen Umstände, und auch an den Menschen geht so ein Jahreswechsel nahezu spurlos vorüber. (Von den Spuren, die Sylvesterparties gemeinhin in unsere Gesichter graben, abgesehen). Jahreswechsel sind, so könnte man meinen, volkswirtschaftlich gesehen, von zweifelhaftem Nutzen. Weit gefehlt. Am Jahreswechsel verdient sich eine ganze Branche goldene Nasen. Die Kalenderbranche. Einen Kalender braucht nämlich jeder.
Kalender sind raffiniert einfache Geräte. Das mindeste, was so ein Kalender können muß, besteht darin, 365 beziehungsweise alle vier Jahre 366 Tage eines neuen Jahres in einer sinnvollen Chronologie aneinanderzureihen. Zur leichteren Handhabbarkeit dieser stetigen Abfolge von Tagen arbeitet die Kalenderindustrie schon seit langem mit sieben Wochentagen: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Fenstertag, Samstag und Geburtstag. Diese sieben Tage wiederum werden zu Wochen zusammengefaßt, 52,142857143 sind es ungefähr. 28, 29, 30 und 31 Tage werden, ohne Rücksicht auf den Wochenfluß zu Monaten gebündelt. Diese Monate (nicht zu verwechseln mit Montagen) heißen jährlich gleich: Jänner, Schifahren, März, Fensterputzen, Mai, Juni, Urlaub, August, Frust, Oktober, November, Weihnachten. >>>
>>> Zusätzlichen Wiedererkennungswert im Kalender bieten sogennante Feiertage. Fällt ein Feiertag auf einen Donnerstag folgt ein Fenstertag. Das Jahr beginnt zur Einstimmung gleich mit so einem Feiertag. Etwas mißverständlich heißt der Tag nicht Neutag oder Ersttag sondern Neujahr, und wird schon im Laufe des vorangegangenen Tages, dem Sylvestertag begonnen. Der nächste wichtige Feiertag ist das Dreikönigstreffen der ÖVP in Maria Taferl. Dicht gefolgt vom Aufmarsch der Sektion Ebensee vor dem Parlament, der stets am 1. April begangen wird. (Die anderen Sektionen begehen den 1. April am 1. Mai.) Lange Tradition, vor allem am Land (steirisches Hügelland, Burgenland, Landeck) haben die sogennanten kirchlichen Feiertage. Sie erinnern an kirchenhistorisch wichtige Termine und haben eigene Namen. Jedes Kind kennt sie: Faschingsdienst-Tag, Abwaschmittwoch, Glühdonnerstag, Karfenstertag, Osterhasen-Samstag, Ostereier-Suchtag und Urbi et Orbi.
Nationale Feiertage gibt es weniger: Muttertag, Vatertag, Direktorstag, Tag der Fahne, Rapid gegen Austria, Weltspartag und Tag der offenen Tür. Alle diese Tage sind minutiös im Kalender aufgelistet.
Möglichkeiten für individuelle Kalendergestaltung gibt es auch: Mamas Geburtstag, der eigene Geburtstag und der Geburtstag vom Chef können, je nach Maßgabe ihrer Wichtigkeit, einem der 365-366 Tage zugeordnet werden.
Früher, also zu Zeiten als sich die Gutenberggalaxis noch nicht im Sternbild des Farbdrucks befand, befand sich die Kalenderindustrie im Embryonalstadium monochromer Einfalt. Bis Henry O´Nash am 1.1.1922 den ersten Farbkalender unters Volk brachte und damit eine permanente Revolution ins Rollenoffset: Farbige Kalenderblätter! Wow! Jännerblätter mit dem Bild schneeverwehter Kältelandschaften, tauende Bächlein mit zartgrün knospender Märzfauna, üppig wogende Roggenfelder im August und rotgelb flirrendes Stadtlaub auf Oktoberboulevards.
Sei den Tagen O´Nashs macht niemand mehr Kohle auf dem Globus, als die Kalenderindustrie, Bill Gates eingeschlossen. Jede nur denkbare soziale Gruppe kann aus einer Myriade von geeigneten Kalendern das richtige Weihnachtsgeschenk auswählen. Befreundete wie verfeindete Yuppies beschenken einander mit ledergebundenen Filofaxen in allen Formen und Größen, Kleintierhalter mit und ohne Vereinsanbindung finden ihr Glück in Hamster-, Schildkröten, Zierfisch- und Katzenkalendern. Backfische greifen zu Pferdemotiven, das Kind im Manne – je nach Härtegrad – zu Kalendern mit Schmalspureisenbahnen, Formel-1-Boliden und zartgeschürzten Lolitas.
Äußerst beliebter Motive bedient sich die Kalenderindustrie auch in der großen weiten Welt der Malerei. Marc Chagall eignet sich hervorragend als unaufdringliches Präsent für die alleinstehende leitende Angestellte, Motive aus der sixtinischen Kapelle für den saturierten Agnostiker mit Hochschulabschluß, Hundertwasser für den pragmatisierten B-Beamten und Andy Warhol für die attrakive Leiterin der Investmentfond-Abteilung eines internationalen Bankenkonsortiums.
Die Autorin dieser Zeilen sieht sich selbst außer Stande, O´Nash und seinen Epigonen auf den Leim zu gehen. Weniger aus marktpolitischer Anarchie, als aus dem Unvermögen, Kalendern jene Wichtigkeit beizumessen, die schon dem begabten Volkschulkind in Fleisch und Blut übergegangen ist. Notizen, die er auf Kalendern eingetragen hat, waren mit sofortiger Wirkung dem ewigen Vergessen anheimgestellt. In ihrem Filofäxchen der Firma Success gleißen vier Jahre alte Kalenderblätter von jungfräulicher Unbeschriebenheit und die jährliche Abgabe des Rauchfangkehrerkalenders quittierte sie mit sofortiger – sicher nicht glücksbringenden – Widmung an den Altpapiercontainer.
Einen Kalender hat die Comandantina dennoch. Auf verbogenem ägyptischem Karton ist darauf ein schlechter Farbdruck der Kaaba in Mekka zu erkennen. Unter einem – so hofft sie – segenbringenden Zitat des Propheten hängt ein armdickes Bündel vergilbter Abreißblätter. Das oberste weist sich in arabischen und indischen Ziffern als Abreißblatt für den 21-Jänner aus. Warum es nie dazu kam, über dieses Datum hinaus Tage, Wochen, Monate, somit also das ganze liebe Jahr, zu verfolgen, wird ihr ein ewiges Rätsel bleiben. Vermutlich kann sie mit Kalendern nichts anfangen. Zuletzt, so viel läßt sich immerhin beweisen, muß sie an einem 20. Jänner noch gerissen haben.
© Andrea Maria Dusl
geschrieben ~ 1997 für „Triebwerk“