Liebe Frau Andrea,
ich kämpfe schon länger mit einem Wiener Phänomen, dem Zeitungshalter. Offenbar ist dieses Kaffeehaus-Patent nicht für großformatige Zeitungen gedacht, mein Cafetier spannt trotzdem immer wieder Zeitungen wie die Süddeutsche in das Gerät ein. Jetzt weiß ich nie, wie ich am elegantesten lesen soll: Immer die gesamte Zeitung auf dem Rohrstaberl liegend oder „aufgeblättert“?
Helfen Sie mir!
Gustav, Wien 6
Lieber Gustav,
Fragen der Etikette kaschieren stets eine technische Kondition. Nehmen wir als Beispiel das Verbot, Knödel mit dem Messer zu schneiden: Dieses Tabu heisst uns Klösse mit der Gabel zu reissen. Die scheinbar sinnfreie Regel hat einen technischen Hintergrund: Mit gerissenen Knödelstücken kann Sosse wesentlich besser aufgetunkt werden, als mit geschnittenen. Oder die Regel, Kaffeehauskaffee, und mag es kleiner Schwarzer vom Hohlmass eines Fingerhutes sein, nie ohne Blechtablett zu servieren: Dahinter steckt die Tatsache, dass Kaffee ewige Flecken in Tischmarmor hinterlässt. Zeitungen vom Format der Neuen Zürcher, Frankfurter Allgemeinen, Süddeutschen oder der Zeit, jenen Formaten also, deren Lektüre Showcharakter hat, werden so gelesen: Die rechte Hand manipuliert den Mittelgriff, der Rahmen liegt schräg an der Tischkante auf. Mit der linken Hand spannen sie den losen Heftteil. Je lauter Sie umblättern, desto besser! Absolutes Nono ist das Ausspannen aus dem Halter. Das Herausreissen von Artikeln sollten Sie seitenweise unternehmen. Auch hier: je langsamer und lauter, desto besser.
herrlich, das hab ich nicht gewusst.
frage: darf man eigentlich im wiener kaffeehaus in den hier angebotenen zeitungen die kreuzworträtsel lösen, oder dieses seltsame zahlenspiel auf das sie gerade alles so abfahren? unlängst beobachtete ich nämlich einen gast der dieses tat und fand das doch reichlich ungehörig. klären sie mich auf, liebe frau andrea!
ute
Das Kreuzworträtsel einer Kaffehaus-Zeitung direkt im Blatt zu lösen, ist unaufgeklärt und stilarm. Eleganter fände ich, das Rätsel auf einem mitgebrachten Zettel zu lösen, oder noch besser: in einem Moleskine-Buch.
Andrea