Nicht ins Dunkel!

In heiligen Zeiten gefällt sich Österreich darin, Gnade vor Unrecht walten zu lassen und den einen oder anderen Schein zu spenden. Im Kerzenlicht der Betroffenheitsgalas werden Spenden lukriert, dass sich die Konten biegen. Wie das geht, lernen wir schon in der Schule. Andrea Maria Dusl
Erschienen in Ausgabe 8/03 des Progress
Leopoldsgasse.jpgIch spende nie. Schon das Wort „Spende“ löst in mir Beklemmungen aus. Die Abneigung gegen das Spenden überfiel mich schon in der Volksschule. Die Schulschwestern, in deren Obhut ich mich befand, hatten ein ausgeklügeltes Ritual, an Geld zu kommen. Zu allen heiligen Zeiten wurde der „Negerkinder“ gedacht. Die „Negerkinder“, so erzählten uns die Schwestern, befänden sich in den Fängen des Satans, der ihnen durch eine Gnadenlosigkeit sondergleichen nicht nur den falschen Geburtskontinent, sondern auch die falsche Hautfarbe mit auf den Lebensweg gegeben habe. Diese tragische Konstellation gelte es zu lindern. Direkt in die Hölle kämen die armen „Negerkinder“, wenn nicht geholfen würde. Gestorben würde schnell in Afrika. Und wenn wir tatenlos zusähen, dann wäre alles verloren. Ein „Negerkindlein“ nach dem anderen würde in den Höllenschlund hinabsausen, und was und wie es sich da abspielte, sollten wir uns lieber nicht vorstellen. >>>


>>> „Wir müssen helfen, Schwester Benedicta“, rief Silvia in der ersten Reihe, Birgit in der zweiten war den Tränlein nahe und ich daneben stumm vor Schreck beim Gedanken an unaussprechliche Satansgewalt an afrikanischen Kindern. „Wie können wir helfen“, schrien wir im Chor, in einer Lautstärke, die wir sonst nur benutzt hatten, um im Kasperltheater die Prinzessin vor dem Krokodil zu warnen.
Schulschwestern.jpg„Ganz einfach könnt ihr helfen“, antwortete Schwester Benedicta, und ihr haarloses Gesicht glättete sich unter dem schwarzen Schleier: „Ihr müsst ein Negerkindlein taufen lassen.“ Denn nur wenn es getauft sei, misslänge es dem Satan, seine schmutzigen Krallen nach dem unschuldigen „Heidenkindlein“ auszufahren. Nur wenn einer von den „katholischen Missionaren“ die Erbsünde von ihnen abwüsche, wären sie rein und fein für den Erlöser, so dieser sich anschickte, wieder eines der armen „Negerkindlein“ zu sich zu rufen.
Ob man nicht Suppe schicken sollte oder Semmeln, wollten wir wissen, und Schulbücher, ja vielleicht Spielsachen? „Neinneinnein“, all das wäre nicht so wichtig wie die Taufe. Und die Taufe, so versprach uns Schwester Benedicta in einem feierlichen Tonfall, die Taufe könnten wir ihnen bringen.
100 Schilling koste so eine „Negertaufe“. 100 Schilling, das war so viel wie 100 Bensdorp-Schokoladeriegel oder 1.000 Stollwerck-Zuckerl. Unermesslich wohlfeil für eine Gnade, die das Höllentor verschließen konnte. An jenem Tag gingen 31 Schulkinder der 2a in der Schule der Schulschwestern in der Wiener Leopoldsgasse nach Hause und machten ihren Eltern klar, dass, wenn morgen nicht alle mit Hundertschillingscheinen in der Klasse erschienen, all die „armen Negerkinder“ vom Satan persönlich verspeist würden. Ungetauft und nach ewig langem Rösten im Fegefeuer der Versäumnisse.
So kam es, dass am nächsten Tag 31 Wiener Schulmädchen, vom Gedanken an die Rettung von 31 „Negerkindern“ erfüllt, 31 Kuverts mit Hundertschillings-cheinen übergaben und mit der Kenntnis des Aus-drucks „gutes Gewissen“ belohnt wurden. Klara Jäger, die Tochter vom Fleischhauer, hatte ein Kuvert mit 5 Hundertern mitgebracht – eine geradezu überirdische Christentat, wie Sr. Benedicta sich bemühte zu erklären. Einige Monate später, der Krampus war ins Land gezogen, das Christkind, Frau Holle und auch die Heiligen drei Könige, brachte Schwester Benedicta Nachricht aus Afrika: Bilder unserer Taufkinder. Der Glaserer in der Leopoldsgasse hatte sie zwischen zwei postkartengroße Glasscheiben gepresst und mit rosafarbenem, korngelbem oder giftgrünem Textilband eingerahmt. Das waren die von uns Geretteten! Wir hatten Tränen in den Augen und Christus im Herzen. Und ein „gutes Gewissen“.
Bis mein Bruder im nächsten Jahr mit dem Bild „seines Negertäuflings“ nach Hause kam. Und seltsam: Der Portraitierte sah genauso aus wie meiner, und hätten wir fotografische Zusammenhänge benennen können, hätten wir gesagt: „Das ist ein Abzug vom selben Negativ.“ Weil auch unbenennbare Zusammenhänge neugierig machen, kletzelten wir die Rahmen entzwei und verglichen die beiden Bilder miteinander. Sie waren identisch. Emanuel Izuagha und Markus Adegboye glichen einander wie ein Ei sich selbst. Auf der Rückseite trugen beide Bilder den gleichen Stempel: Foto Hubalek, Favoriten.
Seither hege ich berechtigte Zweifel daran, dass auch nur irgendein Teil jener Summe, die wir jahrein, jahraus in das Taufen dunkelhäutiger „Heidenkinder“ investierten, dazu diente, den nach dem Seelenheil Ungetaufter gierenden Höllenschlund zu verriegeln. Im Garten meiner Erinnerung riechen die Wörter „Nächstenliebe“, „Barmherzigkeit“ und „Spende“ nicht gerade nach Rosen.

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