Falter 04/2003 vom 22.01.2003.
Liebe Frau Andrea,
im Falter 1-2/03 habe ich gelesen, dass in einem russischen Spezialtitätengeschäft in Wien „Babuschkas“ verkauft werden. Wie ist denn das dort? Muss man die bestellen (je nach Wunsch: dick oder dünn, gut kochend, immer lächelnd, warme-Socken-strickend etc.), oder gibt es sie gleich zum Mitnehmen? Sie als „Ost“-Expertin können mir sicher weiterhelfen!
Maria, Südstadt
Liebe Maria,
“Babuschkas”, also Grossmütter, werden weder in Russland noch in russischen Geschäften verkauft. Soweit käme es noch! Grosser Beliebtheit als Handelsware erfreuen sich hingegen die typischen, bunt bemalten, kleiner und kleiner werdenden, bis zu einem Dutzend ineinander verschachtelbaren Holz-Puppen. Die kugelrunden und stets wissend lächelnden Schachtelpuppen werden fälschlicherweise Babuschkas genannt, heissen in Wahrheit aber Matrioschkas und sind vermutlich das bekannteste aller russischen Souvenirs. Ursprünglich ein Symbol für Mutterschaft waren die Puppen ein beliebtes Geschenk für kleine Mädchen. Im alten Russland galt eine runde, pausbäckige und rotwangige junge Frau als Schönheit und versprach, eine gute Mutter und hart arbeitende Ehefrau zu werden. Die holzgedrechselten und bunt bemalten Matrioschkas (Mütterchen) gelten als beliebte Glücksbringer. Matrioschkas sind stets rund wie dicke Kegel. Es gibt sie als uniforme Mütterparade aber auch als individuelle Märchenfiguren. Manchmal wechseln einander Vater, Mutter und eine ganze Parade immer kleiner werdender Geschwister ab. Nach dem Fall des Kommunismus wurden Matrioschkas beliebt, die als Aussenfigur den gerade amtierenden russischen Präsidenten, heute also Putin zeigen, darin dann die jeweiligen Vorgänger, also Jelzin und Gorbatschow, die Generalsekretäre Breschnew und Kruschtschew und noch weiter innen den Diktator Stalin und den allgegenwärtigen Lenin verbargen. Als innerste Puppe findet man dann irgendwann den letzten russischen Monarchen, Zar Nikolaus II.