Falter 47/2002 vom 20.11.2002.
Liebe Frau Andrea,
ich wohne in Wien Favoriten und in meiner Nachbarschaft gibt es ein Grätzl, das sich „die Kreta“ nennt und früher, wie ich gehört habe, ganz schön verrufen war (höchste Messerstechereidichte Wiens angeblich!). Können Sie mir weiterhelfen und aufklären, was dieses ankerbrotfabriknahe Gebiet mit der schönen Mittelmeerinsel verbindet und warum für diesen Begriff der weibliche Artikel verwendet wird?
Manfred H., Wien 10
Lieber Manfred,
gerne helfe ich Ihnen in dieser überaus spannenden Frage, auch wenn hier mein Latein, mein Favoritnerisch und auch mein Tschechisch fast am Ende sind. Ich will Ihnen meine Vermutungen dennoch nicht vorenthalten. Mit der Mittelmeerinsel dürfte das von Ihnen inkrimminierte Grätzel tatsächlich nichts zu tun haben.. Eher schon mit der Herkunft des Wortes “Grätzel”. Mit Grätzel bezeichnet man in Wien seit alters her einen kleinen Stadtteil. Es liegt nahe, den Ausdruck vom slwaischen Hrad, Grad (Burg oder Stadt) herzuleiten, das uns auch verschliffen als Graz (früher Grätz) bekannt ist. Demnach wäre eine Grätz (Kret) ein kleines Städtchen. Eine ganz andere Erklärung ergibt sich, wenn wir “die Kreta” anders schreiben. Auf Wienerisch sind nämlich “die Kräter” die Mehrzahl eines Kraters. Und hier kommen wir der Sache vermutlich schon näher. Denn in Favoriten wimmelt es nur so von “Krätern”, von ganz normalen Ziegelseen nämlich. Und wenn sich unser Ausdruck nicht auf diese, von den Urfavoritnern, den sogenannten “Ziegelböhm” ausgehobenen Lehmgruben bezieht, will ich einen eleganten Stadthut jausnen. Allenfalls könnten wir noch annehmen, das die Bezeichnung “die Kräter” jüngeren Ursprungs ist. Dazu müsste man mit einer Karte der Bombentrichter Favoritens einen Ortstermin begehen. Denn auch diese Erklärung hätte Hand, Fuss und Jausenhut: Es wären “die Kräter” dann zugeschüttete Bombenkrater aus dem 2. Weltkrieg.