Fisimatenten

Falter 45/2002 vom 06.11.2002.

Liebe Frau Andrea,

letztes Wochenende waren zwei deutsche Freundinnen von mir auf Besuch. Wie sie sich vorstellen konnten, sprachen die beiden fliessend “deutsch”. Neben vielen Ausdrücken, die mir aus dem Kabel-Fernsehen und Begegnungen mit bundesdeutschen Fremdenverkehrsteilnehmern geläufig waren, stolperte ich völlig unvorherbereitet über das Wort “Fisemadenten”. Ist das eine Art Zahnschmerz? Eine Geisteskrankheit? Ist es ansteckend?

Lydia Tucek, Währing

Liebe Lydia,

Fisimatenten bezeichnen weder Zahn- noch Geistesschmerz, sie sind im nichtösterreichischen deutschen Sprachraum als Begriff für Ausflüchte, Winkelzüge, Schwierigkeiten und ähnliche Scherereien in Gebrauch. Zu Zeiten, als Napoleons Truppen Teile Deutschlands besetzt hatten, kam es auch zu persönlichen Kontaktaufnahmen zwischen der französischen Soldateska und der einheimischen Landbevölkerung. Mit den Worten ‚Visitez ma tente, mademoiselle‘ wollten die französischen Soldaten die deutschen Mädchen dazu bringen, sich ihre Briefmarkensammlung im Zelt anzusehen. Die Deutschen verstanden das natürlich falsch und so bekamen die Töchter eingetrichtert: ‚mach mir ja keine Fisimatenten‘. Die etymologische Literatur erwähnt diesen Mythos mit keinem Wort. Sie führt den Begriff vielmehr auf das lat. visae patentes, “ordnungsgemäß geprüfte Patente” zurück. Über das niederhochdeutsche visepatenten (dummes Zeug, Nichtigkeiten) und visimeten (Ausschmückung, Erfindung) ist es im 15. und 16.Jahrhundert zur Verspottung bürokratischen Handelns in die deutsche Sprache eingegangen. Fisimatenten wurden zum allgemein bebräuchlichen Begriff für unnötige amtliche Zores. Unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die Gelehrten sich hier nicht ganz sicher sind, neige ich zur napoleonisch-soldatischen Variante.

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