Schwarze Galle

Falter 43/2001 vom 24.10.2001.

Liebe Frau Andrea,

ich habe dieses Wochenende drei Bücher gelesen, und alle drei waren melancholisch. Muss Melancholie sein? Liegt es an der Saturn-Jupiter-Opposition? Am Herbst? Gibt es in Arbeitswelt, Erwerbsleben, Kunst und Medien nur mehr die Alternative: Ehrenamt oder Knebelvertrag? Und ausserdem ist durch die Virenscanner mein ganzes Email durcheinander.

Es grüßt
Poldi Finanzenberger, Wieden

Lieber Poldi,

sie sprechen wahrscheinlich vielen Leuten aus der Seele, besonders und gerade heute sprechen sie auch aus meiner. Nun habe ich dieses Wochenende kein einziges Buch gelesen, bin im Verstehem von Planetenkonstellationen so begabt wie Plankton in Algebra und Erwerbsleben, Kunst und vor allem die Medien bescheren mir ein wohliges Glückssausen nach dem anderen. Und trotzdem bin ich melancholisch. Das Gefühl von Schwarzgalligkeit lastet auf mir wie Frau Holles ungeschütteltes Bettzeug. Und hier scheint des Galligseins Schwärze seinen dunkelsten Kern zu verstecken. Unter bedecktem Himmel gerinnt auch der mildeste Herbst zu depressivem Speibert. Om Dhom Khom wüsste darüber mehr als ein Lied zu singen. Wie wir aus der Biochemie erfahren, hilft das Licht der Sonne einen Reigen von biomolekularen Prozessen in Gang zu setzen, deren erfolgreiches Funktionieren einen normalen Zustand des Wohlbefindens und im Falle seines Fehlens die uns bekannte Melancholie auszulösen vermag. Ein deutscher Philosoph, Walter Schmdtchen bezeichnete just heute diesen meteorologischen Zustand als “exemplarisch belgisches Wetter”. Elektronische Katastrophen wie das von ihnen beschriebene Durcheinander- und in Verlust geraten von Emails vermag solche Zustände noch zu potenzieren. In schweren Fällen von Melancholie ist deshalb immer auch an eine Schuld von Bill Gates zu denken.

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