Falter 11/2001 vom 14.03.2001.
Liebe Frau Andrea,
beim Flanieren über den Brunnenmarkt konnte ich über dem Eingang des Hauses Wien 16, Payergasse 12, folgenden interessanten Text lesen: „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“, Werner Schwab, III Stock, Tür 18, 1992 – 1993. Diese Zeilen sind auf einer Plexiglasscheibe aufgebracht, hinter der, in einer Mauernische, Schulter- und Kieferknochen diverser Wiederkäuer fixiert wurden. Ein Scheinwerfer scheint dieses Gesamtkunstwerk des Abends auch noch zu beleuchten. Nun zu meiner Frage: Ist es eine grobe Wissenslücke, nicht zu wissen, wer jener Werner Schwab ist/war? Für Deine geschätzte Antwort im Vorhinein dankend verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Herwig Schöbitz
P.S.: Auch Sonja läßt herzlichst grüßen.
Lieber Herwig, liebe Sonja,
das von Euch entdeckte Kunstwerk bezieht sich auf ein Stück des Grazer Dramatikers Werner Schwab: „Übergewicht, unwichtig: Unform“. Darin reden sich sechs Spießbürger in einem Vorstadtlokal den Bodensatz der österreichischen Gesellschaft von der Seele: Sozialneid, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und verklemmte Sexualität. Wie Tiere fallen sie über ein glückliches Liebespaar her, das nichts zu suchen hat in ihrem Mikrokosmos aus Hass und Demütigung. Das Pärchen wird vergewaltigt, ermordet und schließlich verspeist. Das Stück endet mit dem berühmten Zitat: „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“. Der tote Dichter lebte von 1981 bis 1989 mit Frau und Sohn zurückgezogen auf einem Bauernhof und arbeitete dort sowohl an „verwesenden Skulpturen“ aus Kadavern und Fleisch, als auch an Erzählungen und Theatertexten. Die 16 Stücke, die er zwischen 1990 und seinem Tod in der Silvesternacht 1993 schrieb, machten ihn zum begehrten Bühnenautor, zum Skandal und zum Idol.