Post braucht Papa

Falter 24/99 vom 16.06.1999.

Joe und ich hatten uns darauf geeinigt, den „klemenden“ Fenstern von Agent NB, dem Nägelbeisser keine größere Bedeutung zuzumessen, als die, daß der Bursche offenbar Probleme zwischen den großen Zehen hatte. Psychoanalytisch lag NB wie ein offenes Buch vor uns. Anstatt sich mit dem Transport von Poststücken zu beschäftigen, verbrachte NB ein gerüttelt Maß seiner Arbeitszeit damit, seine rosaroten Wurstfinger an den Spitzen abzukauen. Dort, wo bei normalen Männer die Fingernägel rauswuchsen, hatte NB millimeterdicke Hornkerben. „So will der eine Frau fürs Leben finden?“ ätzte Joe. „Vielleicht sucht der andere Kicks im Leben“, spottete ich zurück, „vielleicht sind spitze Fingernägel beim Chefbefriedigen undienlich!“ Joe verdrehte die Augen. „Sex im Büro, okay, aber Sex in der Post?“ Joe und ich ließen das makabre Szenario von reproduzierwilligen Postagenten wieder fallen. Soviel hatten unsere obskuren Observationen aber bisher ergeben: Die Agenten des Geheimdienst Post litten unter miserablem Zeitmanagement. Sie waren schlecht gekleidet, billig ernährt, schrieben klägliches Deutsch und sahen auf zu einer Ikone, die sie Großer Papa Franz Jonas nannten. Auch dem Fingerspitzengefühl schienen sie auf magische Weise zu huldigen.

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