Vera Ferra-Mikura und ihre drei Stanisläuse

„Schreiben ist einsame Arbeit“. Vera Ferra-Mikura, Lyrikerin und Romanautorin wurde vor allem mit ihren Kinderbüchern berühmt. Die Schöpferin der „Drei Stanisläuse“ starb Anfang März im Alter von 74 Jahren. ANDREA MARIA DUSL
Drei Stanilause.jpg.jpgErfolgreiche Kinderbücher der 60er-Jahre waren ausnahmslos subversiv. Haarsträubend sympathische, aber meist neunmalkluge Heldinnen und Helden verstrickten sich in übertrieben surrealistische Handlungsstränge. Hinterfotzig tarnten sich edukatorische Falltüren als zu Meisternde Abenteuer, der Sturz in neue Erkenntniswelten blieb aber stets weich.
Astrid Lindgrens Seventies-Powergirl Pipi Langstrumpf konnte vermutlich deshalb mehr für das Selbstbewußtsein deutschsprachiger Frauen tun als Alice Schwarzers „Emma“, weil ihr aufklärerische Hebel vor und nicht nach der Festigung der Geschlechterrollen ansetzte. Aber auch Bösewichte gruben sich bisweilen tief in Kinderherzen ein, um später in Erwachsenenhirnen weitererzuspuken. Der kinderfressende muslimische Turbanschurke „Hatschi-Bratschi“ Franz Karl Ginzkeys verfolgt in Gestalt des „überfremdenden Ausländers“ heute noch geschlossene Wählerschichten. Welche Saat Tom Turbo, das obergscheite aber ins onkelhaft belehrende abdriftende Moped Thomas Brezinas in die Kids der 90er streut, bleibt abzuwarten.
Von ganz anderer, sanfterer Qualität waren… >>>


>>>… da die drei Stanisläuse Vera Ferra-Mikuras. Die Abenteuer der drei sympathischen Faulpelze galten zunächst als chancenlos auf dem Kinderbuchmarkt, entwickelten sich aber zum stilbildenden Dauerbrenner der 60er-Jahre. Die ersten Kinderbücher der einst pessimistischen Lyrikerin Ferra-Mikura waren noch Märchen mit vordergründig erzieherischem Gehalt, etwa „Der Teppich der schönen Träume“. Als Tochter eines Vogelhändler zwischen Nestern und Käfigen und einer „Kredenz voller Klassiker“ aufgewachsen, entwickelt sie einen von humanem Engagenment getragenen skuril-phantastischen Stil, der in seiner Melange aus Absurdem und Realen an Herzmanovsky-Orlando erinnert. „Schreiben ist für mich, wie Basteln für den Bastler, Die Ideen überfallen mich, sekkieren mich, die müssen heraus“, bekennt sie in einem Interview. „Was sich für die Kinder nicht eignet – Zynismus, Ironie, Boshaftes, Hinterfotziges, Giftiges – das wische ich in eine Ecke und mach´ Geschichten für Erwachsene daraus. Sonst müßt‘ ich Terroristin werden.“
„Der alte Stanislaus war der Großvater. Der junge Stanislaus war der Vater. Und der kleine Stanislaus war der Bub. Alle drei wohnen in einem netten, kleinen Haus. Sie wohnen dort mit der Großmutter, mit der Mutter und mit Veronika. Veronika ist die Schwester des kleinen Stanislaus.“ Mit dieser kurzen Beschreibung der dynastischen Verhältnisse des Hauses Stanislaus beginnt 1964 der erste von sechs Stanislaus-Bänden. Barfüssig, latzhosig und die Haare zu hochmodischen Beatles-Frisuren toupiert, illustriert Romulus Candea die drei knollennasigen Proponenten der Aussteigergeneration, die ziellos aber aufrecht Ferra-Mikuras charmant einfachen Plot durchwandern. „Bis zum Mittagessen haben wir noch genug Zeit“, bekennt der alte Stanislaus, dem die alte Stanisläusin als einzigen Job das Organisieren von Schnittlauch für die Suppe aufgetragen hat. Die drei falten „eine Zeitung von übermorgen“ zum Papierschiffchen, um eine kleine spätvormittägliche Odyssee durch ein surrealistisch umgezeichnetes Österreich der frühen 60er-Jahre anzutreten. Großvater, Vater und Sohn in trauter gesellschaftlicher Einheit, das entsprach sicher nicht den Verhältnissen der Zeit. Gemeinsam waren Großväter und Väter im Krieg gewesen. Die Feldzüge der drei Stanisläuse hingegen sind pazifistische Expeditionen in realistische und bunte Landschaften, ihre Abenteuer magisch und surreal.
Vera Ferra-Mikura hat sich mit großer Wahrscheinlichkeit selbst in den Geschichten mit den drei Stanisläusen versteckt. Während Großmutter und Mutter Stanislaus noch in den grauen Farben der Zwischenkriegs- und Trümmerfrauen gemalt sind, läßt Ferra-Mikuras altera ego, die kleine Veronika (Stanislaus Juniors Schwester) – immerhin die einzige Handlungsträgerin mit individuellem Namen (!) – frühe emanzipatorische und ökologiebewußte Züge durchscheinen. Großmutter Stanislaus bügelt noch gern Hemden und Hosen, Mutter Stanislaus sitzt noch gerne vor der Nähmaschine „in unserem netten kleinen Haus“, um sich bedingungslos der Passion des Leintücher-Ausbessern hinzugeben, während Veronika, weitgehend unbelastet vom Wertesystem der Stanisläusischen Frauen, bäuchlings im Gras liegen kann, um mit dem Zeigefinger auf dem Puppenklavier zu spielen.
„Schön daß wir wieder daheim sind“, bekennen die drei Stanisläuse nach einem ihrer Abenteuer. „Veronika aber stand im Schlafzimmer auf den Zehenspitzen und hielt den Regenschirm über das Nest der Singvögel. Die jungen Vögel waren schon aus den Eiern geschlüpft. Piiii-piiii-piiii-piiii! riefen die jungen Vögel. Die Vogeleltern fütterten ihre Kinder unter dem Regenschirm. Veronika lachte ganz, ganz leise.“ Veronika, die niemand anderer war, als alle die andere Mädchen ihrer Generation.
Für Falter. Erscheinungsdatum unklar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert