Falter 43/98, 21.10.1998
Noch wissen die Experten nicht genau, woher unser Vertrauen in das chirurgische Türkis kommt, woher unser Hang zum aseptischen Mint und woher die Sympathie fürs keimfreie Chlorophyll. Grün, soviel steht fest, grün ist gesund. Klinische Studien haben erwiesen, daß Aspirin aus versuchsweise roten Packungen signifikant wirkungsärmer ist, als das Aspirin aus der beliebten grünspanfarbenen Packung. Auch Putzschwämmchen mit blauer Scheuerseite stechen ab gegen solche aus tanngrünem Plastikfilz: Öliges Gepfann will einfach nicht sauber werden mit ultramarinen Abwaschhelfern. Seien es Tagescremetiegel, Raucherzahnpastatuben oder Bindenpäckchen, Breitbandfungizidflaschen, medizinische Wörterbücher oder WC-Enten: Grün ist gesund,grün macht sauber, grün macht guten Geschmack. Wrigley`s Spearmint, die Speerspitze wohlriechenden Odems: Frühlingswiesengrün. Ariel Futur, die waschaktive Supersubstanz für mittlere Wasserhärten: Palmwedelgün. Brauns wirksames Epiliergerät: Lindgrün von Schubertscher Melancholie. Auch nicht ganz klar ist, woher die Natur von unserer Neigung zu den Grüntönen weiß. Wieso von der albernsten Alge bis zum kompliziertesten Kaktus, von der wildesten Wiese bis zur zivilisiertesten Zeder Pflanzen vor Allem eins sind: Grün.