Falter 34/98, 19.8.1998
Die Uhr im Supermarkt zeigt elf Uhr vormittags an einem strahlend blauen Augustsonntag. Vati, 34 und Funkberater, hat Senf, Servietten, zwei Kilo Grillspieße und 18 Dosen Schwechater im Einkaufskörbchen. Vati muß mit dem Reiseproviant nach Neulengbach. Doris, 24, Studentin und zu Hause in der Mollardgasse, braucht Himbeermarmelade, Semmeln und Klopapier für ihre Heimreise in den Sechsten. Bianca, 23, Kindergärtnerin, plant, sich auf ihrer Fahrt in die heimatliche Lassallestraße mit Nagellackentferner, Duschgel, einem Liter Milch, Kärntner Kasnudeln tiefgekühlt, einer Dose Nivea und einer Packung Always Ultra zu verköstigen. Franz, 56 und arbeitslos, verbringt sechs Dosen Ottakringer und zwei Minifläschchen Jägermeister in seinen Hauptwohnsitz in der Wartehalle des Pratersterns. Örkün,17, Schülerin aus der Meidlinger Hauptstraße, reist nie ohne Butter. Franz, 48, Werbegrafiker aus der Praterstraße, schafft keine längere Zugfahrt ohne sein Viertelkilo koffeinfreien Kaffee und eine Packung Rasierklingen. Da es nach dem Willen des Gesetzgebers geht, darf an einem Sonntag um elf nur Reiseproviant verkauft werden. Was dazu führt, daß halb Wien an den Praterstern reist, um sich mit sonntäglichem Reiseproviant einzudecken. Wien ist anders. Wien ist ein Volk von Reisenden.