Falter 28/98, 8.7.1998
Als ich ein Kind war, liebte ich die Post. Zum einen war ich durch die positive Darstellungen postalischer Vorgäng in meinen Kinderbüchern indokriniert, zum anderen war der Herr Briefträger – ein freundlicher Mann mit einem Lastwagenreifen von Bauch – der einzige Fremde, den ich kannte.Unser Postamt war schäbig und alt und es roch nach öligem Linoleum, aber es war die einzige Verbindung in die große weite Welt. Nach Pernambuco, Timbuktu, Nottingham, Bagdad und Stambul, die Osterinsel und wie die Orte in meinen Büchern alle hießen. Alleine die Möglichkeit, einen Brief aufzugeben, der auf der Osterinsel landen würde, machte das Postamt zu einem magischen Ort. Auch telefonieren war noch etwas, damals. Mit einem Schilling konnte ich fünf Minuten mit meiner besten Freundin plappern. Wenn das kleine Fenster mit dem weißen Zeiger ein präpariertes Loch hatte, in das eine Stecknadel paßte, um den Zeiger anzuhalten, konnten wir sogar ewig miteinander sprechen. Jetzt ist alles anders. Der Lastwagenreifenbauchbriefträger ist in Pension, das Postamt ist zur Arbeitslosengeldabholanstalt verkommen und telefonieren können wir vom Handy. Und die Telefonnummern holen wir uns aus dem Internet. Aber nur zu Geschäftszeiten. Denn Nachts schläft die Internetadresse der Post. Es ist doch nicht alles anders als früher.