Dachbodenlos

Falter 20/98, 13.5.1998

Alle paar Monate wird irgendwo auf dem Globus ein Speicher begangen und eine unbekannte Zeichnung Leonardos, eine verschollene Partitur Mozarts oder eine Schrift Einsteins entdeckt. Auch Rötelzeichnungen von Matisse, Liebesbriefe von Romy Schneider und Kinderfotos von Charles De Gaulle finden sich regelmäßig auf irgendwelchen Speichern. Überall auf der Welt geschieht das, nur seltsamerweise nicht in Wien. Erstens heißen Speicher bei uns nicht Speicher, sondern Dachboden und zweitens speichern sie nichts, schon gar nicht sothebykompatibles, sondern haben von Amts wegen leer zu sein oder sind von privater Hand ausgebaut. Einer der wenigen Dachböden Wiens, der den Namen Speicher alle Ehre machte, war jener im Wohnhaus der Comandantina Dusilova. Er speicherte das Frühwerk der Comandantina, welches sich vor allem aus Buntstiftzeichnungen religiösen Inhalts, der Prosasammlung „Deutschhausaufgaben 1971 bis 1980“ und der Autographensammlung „Mitteilungshefte Dusl 1c,2c,3c,3b und 4b“ zusammensetzte. Auch wertvolle Plüschtiere und genretypische Bastelarbeiten waren darunter. Waren. Sie wurden jüngst von Unbekannten in große Container geschaufelt. Bei welchem Anblick die Comandantina weinte wie ein kleines Schulmädchen.

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