„Dusls Freispiel“, Falter 48/97, 16.11.1997
Jeder Chemiker kennt sie: 3-(1-Methyl-2-pyrrolidinyl)-pyridin, eine, auch unter der Formel C10H14N2 einschlägig bekannte Substanz. Finanzminister reiben sich die Hände über dieMilliardenbeträge, die die Sucht nach ihr einbringt, Volksgesundheitler beklagen die Schäden, die ihre Nebenprodukte in den Organen der Abhängigen anrichten und Freunde wie Feinde des süßen Gifts spaltet sie in zwei militante Lager. Vom Nikotin ist die Rede, dem Hauptalkaloid der Tabakpflanze, einer farblosen, öligen Flüssigkeit. Sie wird je nach Grad der Abhängigkeit mit Hilfe von Frühstückszigaretterln verabreicht, in Form von nervösem Kettenschmauchen, stoischem Pfeifengepaffe oder schlicht als „Tschik danach“. In Flugzeugen ist ihre Einnahme aus aerodynamischen Gründen untersagt, auf amerikanischen Straßen puritanischer Motive wegen, in Kirchen scheut man die Konkurrenz zum Weihrauch und im Spital rauchen nur Pulmologen und werdende Väter. Diese Zeiten sind vorbei: Denn jetzt gibt es Nikotin pur! Nicht als Pflaster, auch nicht als Salbe, Zuckerl oder Infusion. Nikotin zum Inhallieren. Ohne Rauch natürlich. Nicorette heißt das lächerliche, Ding. Es sieht aus, als hätten ein Zigarettenspitz und ein Kugelschreiber Nachwuchs bekommen. Gifteln geht jetzt überall, selbst in Falter-Sitzungen. Guti Gutenstein!