DIE PROVENÇE
Der Taucher im Wasserflugzeug und andere Geschichten aus dem Land, in dem das Licht erfunden wurde.
Andrea Maria Dusl, 1997 für Visa Magazin
Als der liebe Gott sich mit der Erschaffung von Südfrankreich beschäftigte, war er gut aufgelegt und experimentierte ein wenig herum. Das Ergebnis waren die Hügel, Gebirge und Ebenen der Provençe und eine Palette von Farbtönen, wie sie nur hier vorkommen, Maler und Dichter magisch anziehen und in ihrer Vielfalt den einen oder anderen von ihnen fast den Verstand kostete.
Als wären Polychromie und Mannigfaltigkeit der provençalischen Landschaft nicht zauberhaft genug, installierte der große Experimentator auch noch ein Klima, das mit paradiesisch nur unzureichend beschrieben werden kann.
Auf den Hügeln, die Inseln gleich, aus den damals noch riesigen Sümpfen des Rhonedeltas ragten, siedelten die Ur-Provençalen, die Ligurer, und Kelten. Die Segnungen der antiken Zivilisation brachten griechische Händler ins Land. Sie hatten 600 v. Chr. mit Massalia, dem heutigen Marseille die älteste Stadt Frankreichs gegründet. (Mit der Erwähnung dieser Tatsache gelingt es den stolzen Marseillesen noch heute, hochnäsige Lyoneser und kaltschnäutzige Pariser zur Weißglut zu bringen). Den Römern, die unter Cäsar Gallien eroberten, verdanken die Provençalen ein, heute noch verwendetes Netz von Straßen, den Ausbau ihrer Kuhdörfer zu stolzen Städten und den Namen ihres Landes: Provincia Narbonensis, die Provençe.
Als ideale Reisezeit für einen Besuch des provençalischen Paradieses gelten Mai, Juni und September. (Die Winter sind zwar durchaus mild, aber von oft wechselhaftem Wetter, die Sommer trocken und afrikanisch heiß). Avignon, die Stadt der Päpste, das römische Aries mit seinem Amphitheater und die mittelalterliche Hauptstadt der Provençe, Aix sind aufgeweckte kleine Metropolen mediterraner Lebensart, Sie eignen sich hervorragend als Stützpunkte zur Erkundung des Landes. Marseille ist eine brodelnde Hafen-Großstadt, deren Besuch mehr als lohnt, als Standort für einen Aufenthalt in der Provençe ist das Tor zum Orient aber schon wegen seiner exponierten Lage ungeeignet.
Ginge es übrigens nach dem Willen der Franzosen, immerhin Experten dafür, das Leben zur Kunst zu machen, wäre Aix (die antiken Quellen Aquae Sextae) eine Stadt mit 60 Millionen Einwohnern. Soviele Gallier geben nämlich als Idealstadt Aix en Provençe an. In einem der platanenbeschatteten Cafés der Cours Mirabeau bei einem Glas Pastis zu sitzen und sich beim Plätschem der moosüberwuchenen Stadtbrunnen dem Studium süssen Nichtstuns hinzugeben, ist sogar schöner als Fliegen.
Wenn der berüchtigte Mistral, ein kalter, böiger, azurblauen Himmel erzeugender Nordwind sie nicht in ihre Häuser scheucht, beschäftigen sich die Provençalen seit ewigen Zeiten am liebsten mit dem Wasser. Übers Wasser kamen einst die Griechen, brachten Olivenbäume und Wein mit und die Kunst, aus ihren Früchten feinstes Öl zu pressen und edelste Tropfen zu keltern. Aus dem Meer holten sie Fische und Salz neben Kräutern und ausgewählten Feldfrüchten sind das die Bestandteile der hier abgöttisch verehrten Bouillabaisse.
Um die Gluthitze des Sommers zu überstehen, scheuen schon die Römer weder Kosten noch Mühen und bauten Wasserleitungen, die das kostbare Naß der Berge über fünfzig Kilometer und mehr in die Brunnen und Zisternen ihrer Städte brachte. Als technisch beispielhaftes Wunderwerk der Antike gilt noch heute der Aquädukt Pont du Gard, der in dreistöckigen Arkaden die Wasser des friedlich dahinplätschernden Gardflusses überspannt.
Ihre, von sommlicher Gluthitze ausgetrockenten Kehlen laben die Einheimischen vorrangig mit Pastis, jenem unverwechselbaren Anisschnaps, der mit eiskaltem Wasser verdünnt, jenes milchigtrübe Elixir ergibt, das selbst hier, in der Wiege des französichen Weines als provençalisches Nationalgetränk gilt.
Wasser löscht aber auch andere Brände. Zum täglichen Bild eines heissen Sommertages gehören die gelben Wasserflugzeuge, die ihre mit Meerwasser gefüllten Bäuche über brennenden Wäldern entleeren. Daß der eine oder andere Sporttaucher, von den modernen Pelikanen irrtümlich mitaufgetankt, tief im Landesinneren zwischen verkohlten Baumstümpfen gefunden wurde, ist eine Gerücht, das besonders Marseilleiser Bartender gerne zum Besten geben.
Die magische Anziehungskraft des provençalischen Lichts, der Zauber, den Farben und Gerüche dieses Landstrichs auf Einwohner und Besucher gleichermaßen ausüben, machen süchtig. Süchtig nach Bouillabaisse und Patis, nach dem Geruch von Rosmarin und Lavendel und dem Zirpen der Zikaden.